Nicht auf die Absichten, auf das Tun kommt es an

Dass es nicht gute Vorsätze sind, die letztlich zählen, sondern unser Tun und dessen Ergebnisse, hat Goethe kurz und treffend auf den Punkt gebracht: „Es ist nicht genug zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muß auch tun.“ Eingedenk der Erfahrung, dass eine Absicht nicht zwangsläufig entsprechendes Handeln nach sich zieht, erklärt er das bloße Wollen mit einer gewissen Strenge für unzureichend und fordert energisch zur Umsetzung in die Tat auf. Das klingt einleuchtend, doch mit der Forderung allein ist es nicht getan. Warum fällt es uns so schwer, diese Maxime zu befolgen? Was können wir tun, um zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben?

Meistens streben wir an, dass es uns besser geht, dass wir bestimmte Normen einhalten oder dass wir schlechte Gewohnheiten aufgeben. So nehmen wir uns beispielsweise vor, mehr Sport zu treiben, uns gesünder zu ernähren oder achtsamer gegenüber unserem Ehepartner und unseren Kindern zu sein. Wir wollen mehr Bücher lesen, uns weniger in Social Media-Aktivitäten verlieren, härter arbeiten, öfter Freunde treffen oder wohlhabender und gelassener werden. Doch zeigt sich, dass es oft bei den guten Vorsätzen bleibt. Wir widerstehen der Versuchung des Kuchens nicht. Wir können uns nicht überwinden, in den Keller zu gehen und Gewichte zu stemmen. Wir sind zu faul, Familienangehörige oder Freunde anzurufen und zu bequem, etwas mit ihnen zu unternehmen. Wir regen uns immer wieder über die gleichen Dinge auf und lassen uns vom Smartphone oder Bildschirm ablenken und zerstreuen. Die eigene Inkonsequenz und Schwäche stimmt uns unzufrieden. Außerdem haben wir das Gefühl, uns nicht weiter zu entwickeln.

Was hindert uns?

Es gibt verschiedene Gründe, warum uns die Umsetzung unserer Absichten schwer fällt. Manchmal handelt es sich nicht um unsere eigenen Vorsätze. Hart zu arbeiten, fit, gebildet und wohlhabend zu sein oder auf Fleisch zu verzichten – das sind Normen die auch vom gesellschaftlichen Umfeld an uns herangetragen werden. Wir sind mit ihnen aufgewachsen, übernehmen sie unbewusst, haben sie aber nicht verinnerlicht. Es sind nicht unsere Ziele, sondern Erwartungen anderer.

Außerdem scheint unsere Natur mancher guten Absicht entgegen zu stehen, wie es schon in der Bibel (Matthäus 26,41) heißt: „Der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber schwach.“ So fällt es schwer, eingeübte Gewohnheiten zu verändern, zumal wenn es an „Leidensdruck“ mangelt oder wenn sie bereits zur Sucht geworden sind. Die Zigarette nach dem Essen, das Glas Wein am Abend, der Blick auf die Timeline, das Spielchen auf der Konsole oder auf dem Handy sind Beispiele dafür.

Auch das natürliche Grundbedürfnis unseres Körpers nach Energie macht uns oft einen Strich durch die Rechnung. Manchmal scheint er nach Zucker, Fett und tierischem Eiweiß zu verlangen. Schokolade setzt „Glückshormone“ frei und wird dadurch zum Genuss. Auch Konsolenspiele und Social Media bewirken Gehirnaktivitäten, die ein „mehr davon“ signalisieren.

Hinzu kommt: Durch die wirtschaftliche, technologische und mediale Entwicklung ist für Viele von allem im Überfluss vorhanden, seien es Nahrungsmittel oder online verfügbare Informationen. Disziplinierende Mangelzustände, natürliche „Fastenzeiten“, gibt es kaum noch. Es kostet Überwindung und Anstrengungen, schneller Bedürfnisbefriedigung, die langfristig gesehen auch Schaden anrichtet, zugunsten positiver Effekte, die sich auf längere Sicht einstellen, zu widerstehen.

Schließlich setzt auch unser angeborenes Temperament einigen Absichten gewisse Grenzen, wir „können nicht aus unserer Haut“. Introvertierte meiden Geselligkeit sowie bestimmte Formen der Kommunikation und wer zur Lethargie neigt, muss sich zu körperlichen oder anderen Anstrengungen besonders überwinden.

Was können wir tun?

Trotz all dieser Schwierigkeiten gibt es mentale Strategien und Taktiken, die uns helfen, unsere Vorsätze besser in die Tat um zu setzen.

Am Anfang steht das gründliche Nachdenken über unsere Ziele, denn von dem, was wir anstreben, müssen wir überzeugt sein, um die für die Umsetzung notwendige Energie aufbringen zu können. Wir müssen unseren Absichten auf den Grund gehen: Warum will ich dieses oder jenes erreichen? Warum will ich mich verändern? Macht mich das Angestrebte tatsächlich glücklicher, zufriedener, gelassener, gesünder? Geht es mir langfristig gut damit? Man höre auf seine innere Stimme: Passt das Ziel überhaupt zu mir oder will ich doch nur die Erwartungen anderer erfüllen? Epikur meinte, an alle Wünsche solle man die Frage richten, was geschehe, wenn sie erfüllt seien. Es hilft, sich die Konsequenzen sowohl des Scheiterns als auch des Erfolgs vor Augen zu führen.

Im Weiteren ist es wichtig, sich nicht zu viel auf einmal vornehmen und sich zu fokussieren. Es reicht aus, sich auf eine, maximale zwei Verhaltensweisen, die man ändern möchte, zu konzentrieren. Anstatt den Verzicht auf schlechte Gewohnheiten anzustreben, ist es zudem besser, sie durch bessere Gewohnheiten zu ersetzen. Umgekehrt gilt es darauf zu achten, schlechtes Verhalten gar nicht erst zur Gewohnheit werden zu lassen.

Hilft es, seine Ziele schriftlich zu formulieren und deren Umsetzung dokumentieren? Sie im Tagebuch oder einem Journal aufzuschreiben und regelmäßig zu reflektieren, ist auf keinen Fall umsonst. Eine gewisse Routine ist hilfreich, man sollte jedoch das Maß beim Protokollieren wahren.

Was mir hilft

Im Detail muss jeder seinen eigenen Weg finden. Ich habe mir in den letzten Jahren folgendes Vorgehen zu eigen gemacht: Meine morgendliche Reflexion enthält die Frage: „Was ist die Pflicht des Tages?“ Dies hilft mir, mich auf die wichtigsten Dinge zu konzentrieren. Außerdem beginne ich den Tag mit guten Gewohnheiten – Meditation, Sport, gesundem Frühstück, Lesen und der für mich wichtigsten Aufgabe des Tages. Dies versetzt mich in gute Stimmung, ich freue mich, auf dem richtigen Weg zu sein und etwas geschafft zu haben.

Die Kraft aufzubringen, die eigenen Vorsätze in die Tat umzusetzen, bleibt trotzdem eine Lebensaufgabe.

Über Selbstbeherrschung und eine feste Gründung

das schwere ist die wurzel des leichten
die ruhe ist herr der erregung. (…)
den boden unter den füßen verliert der leichtnehmende
die herrschaft verliert der erregte.*

The heavy is the root of the light,
tranquility is the lord of agitation. (…)
If you regard things too lightly, then you lose the basic;
if you’re agitated, you lose the “lord”.**

Laudse/Lao-Tzu, Daudedsching/Te-Tao Ching

Was ist “das Schwere”? Was könnte “das Leichte” sein, das in ihm wurzelt oder wurzeln soll? Welche Dinge soll man nicht leichtfertig behandeln?
Als “leicht”, oberflächlich und haltlos könnte man das alltägliche menschliche Tun im Allgemeinen und die “Erregung”, also übertriebene Gefühle, im Besonderen verstehen. Wie das Leichte einer Verwurzelung bedarf, so bedarf Erregung der Beruhigung.

Im tiefergehenden Sinne bedürfen das menschliche Tun und insbesondere Gefühle einer Erdung durch ein “Schweres”. “Schwer” im Sinne von Halt gebend ist das Dau (auch Dao oder Tao), das grundlegende Prinzip im Daoismus, das auch als “Pfad” (Richtlinie) zu einer harmonischen menschlichen Existenz gilt. Es muss der “Lord” sein, muss das Tun leiten, denn ohne feste Gründung, ohne Bodenhaftung, ohne Verwurzelung in festen Grundsätzen sind alle menschlichen Aktivitäten letzlich auf Sand gebaut. “Flachwurzler” fallen einem Sturm als erste zum Opfer. Wer den Affekten freien Lauf lässt, verliert die Selbstbeherrschung, und damit auch seine Macht über andere.

Diese Überlegungen sind vertraut und sprechen für sich. Aber sind sie auch “empirisch”, das heißt: in Lebenserfahrung, begründet, oder sind sie nur Wunschdenken eines introvertierten Philosophen? Sind die Stillen, Ernsthaften und Selbstbeherrschten, die das Leben “schwer” nehmen, wirklich mächtiger? Liegt die Macht nicht doch eher bei den Lauten und Leidenschaftlichen, die sich über Bedenken hinwegsetzen und mit ihrer Energie Berge versetzen? Was ist so gefährlich daran, auch einmal “Dampf abzulassen”? Gelten diejenigen, die nie zornig sind, nicht als Idioten, wie Aristoteles in der Nikomachischen Ethik sagt?

Auch der Weise empfindet Zorn, aber er kann ihn beherrschen.
Selbstbeherrschung ist keine Garantie für Macht über andere.
Sich selbst beherrschen ist besser, als andere zu beherrschen.

Achten Sie heute einmal besonders darauf, gelassen zu bleiben und sich zu beherrschen.
Schreiben Sie Ihre Regeln und Prinzipien der Lebensführung auf und denken Sie darüber nach.

*in der Übersetzung von Ernst Schwarz, Leipzig 1970

**in der Übersetzung von Robert G. Henricks, Lao-Tzu Te-Tao Ching: A New Translation Based on the Recently Discovered Ma-wang-tui Texts, N.Y. 1989

Lichtenberg: Seinen Neigungen entgegenhandeln

Seinen Neigungen schlechtweg entgegen zu handeln führt gewiß am Ende zu etwas besserem

Aphorismenbücher, J 596

Warum?

Wir neigen zu dem was uns Lust bereitet und meiden das, was Unlust hervorruft. Das ist „menschlich“. Doch je öfter wir diesen Neigungen nachgeben, desto mehr verlieren wir an Festigkeit und Widerstandskraft gegenüber den Forderungen und Zumutungen des Lebens und der Natur. Damit es uns dauerhaft gut geht, müssen wir unsere Neigungen disziplinieren und lernen, kurzfristig Unlust zu ertragen.

Und umso mehr, wenn wir uns bessern wollen. Der bequeme Weg ist langfristig nicht der für uns beste Weg. Der für uns beste Weg ist derjenige, der uns voranschreiten, der uns wachsen lässt, der uns unserer Vervollkommnung näher bringt.

Wachsen bedeutet Widerstände zu überwinden, die größtenteils in uns selbst liegen. Die eigene Bequemlichkeit ist der größte Widerstand. Wir stehen uns und unserer Besserung selbst im Wege. Deshalb führt jede Selbstüberwindung „zu etwas Besserem“.

Einige Beispiele:

Fasten statt schlemmen.
Gym statt Couch
Warten statt losstürmen
Zuhören statt reden
Nein-Sagen statt zustimmen
Fokussieren statt Zerstreuen
Unterschiede statt Ähnlichkeiten sehen
Wichtiges sofort erledigen statt aufzuschieben
Lesen oder Schreiben statt E-Mails checken oder Social Media-Daddeln

Achten Sie heute einmal besonders auf Ihre Neigungen und geben Sie ihnen nicht nach.

Lao Tzu: Lob der Unwissenheit

„Gebt auf die Gelehrsamkeit! So werdet ihr frei von Sorgen.“
„Abandon learning, and there will be no sorrow.“

Tao Te Ching, ch 20*

Lerne, eigne Dir Wissen an, bilde Dich weiter – und es wird Dir gut gehen.
Gelehrsamkeit ist gut, ungebildet sein ist schlecht.
Sage Ja zum Lernen und Nein zur Unwissenheit.

Das Tao Te Ching stellt diese, nicht nur im Westen, sondern auch bei Konfuzius geläufigen Maximen in Frage und behauptet das Gegenteil: Wer mit dem Lernen aufhöre, wer die Begierde, immer mehr wissen zu wollen aufgebe, wer das bereits Erlernte ablege, der werde ohne Sorgen sein, und ohne-Sorgen-sein  ist vielleicht das Höchste, was man erreichen kann. Das Wissen der Menge, das von der Art ist, von der man mehr als genug hat, das man also eigentlich nicht braucht, sei nichts wert, sondern bringe nur Kummer und Sorgen.

Doch warum soll Unwissenheit  – wu zhi („ohne Wissen sein“) – gut sein? Soll das Volk vielleicht gar gezielt dumm gehalten werden, um es besser regieren zu können?

Die Kritik Lao Tzus richtet sich zum einen gegen die Gelehrsamkeit, die in Form von Schlauheit und Gerissenheit genutzt wird, die Gesellschaft zu spalten (zu differenzieren) und zur Herrschaft von Menschen über Menschen führt. „When knowledge and wisdom appeared, there emerged great hypocrisy.“ (ch 18)

Zum anderen kritisiert das Tao Te Ching die Art von Wissen, die ein wirkliches Verständnis der Welt verhindere, ein Wissen, das den Menschen von der Natur und vom Ursprünglichen (Tao) immer weiter entfremde. Wenn der Mensch nur „lerne“, die Natur immer besser zu beherrschen, indem er in natürliche Abläufe eingreife und reguliere, dann würden die Sorgen nicht weniger, sondern größer. Dagegen setzt Lao Tzu das Verlernen, Ignoranz diesem Wissen gegenüber, ja Dumpfheit.

Das Lob dieser Art Unwissenheit und Unkultiviertheit im vermeintlich ach so harmonischen Naturzustand reiht sich ein in den antizivilisatorischen Grundton des gesamten Werkes. Und gewiss stoßen die Tendenz zur Gleichmacherei natürlicher Ungleichheit (Differenziertheit) bei gleichzeitig elitärer Haltung („Ich allein weiß Bescheid – die Menge geht falsch“) unangenehm auf.

Lao Tzus Fragen nach der Qualität unseres Wissens, nach seinem Nutzen und nach seiner Funktion bleiben gleichwohl bedenkenswert.

*Tao Te Ching in der Übersetzung von Richard Wilhelm (Dt.) bzw. Wing-Tsit Chan, A Source Book in Chinese Philosophy, Princeton 1973. (Eng.)

Über Weisheit und Weise

Philosophie bedeutet wörtlich übersetzt: Liebe zur Weisheit.
Doch was ist „Weisheit“? Was zeichnet denjenigen aus, der als Weise gilt?

Derjenige gilt als weise, der weiß, „was gut ist für die Menschen, was sie tun sollten unter dem Himmel, so lange sie leben“. (Kohelet/Prediger 2,3) Weise ist derjenige, der die Antwort auf die Frage kennt: Was ist ein gutes Leben? Wonach sollen die Menschen streben, worauf ihre Mühe verwenden, worauf ihre Anstrengungen richten? Und ebenso: Was sollen sie meiden, wofür ihre begrenzte Lebenszeit nicht verschwenden, weil es schlecht für sie wäre?

Weisheit ist also zunächst eine Einsicht. Sie erwächst aus der genauen Beobachtung und Reflexion der eigenen Lebenserfahrungen, wie auch des Lebens der Mitmenschen. Wann geht es mir und den anderen gut? Was stimmt mich und andere glücklich und zufrieden? Wann geht es mir und anderen schlecht, wann sind wir unglücklich und unzufrieden?

Doch der „Güter“, deren Besitz nach verbreiteter Meinung ein gutes Leben ausmachen, gibt es viele: Erfolg, Gelassenheit, Freiheit, Reichtum, körperliche und geistige Gesundheit, Stärke und Schönheit, Ruhm, Macht und Einfluss, Tugend um nur einige zu nennen. Darüber, was letztlich wirklich zählt, sind Menschen wie Philosophen unterschiedlicher Auffassung. So viele unterschiedliche Güter, Lebenserfahrungen und Lebenssituationen es gibt, so viele verschiedene, sich teils widersprechende Lebensweisheiten und -lehren gibt es auch. Von der Unterschiedlichkeit der Temperamente und geistigen Fähigkeiten der Menschen ganz abgesehen.

Ein Weiser sollte sich davor hüten, zu glauben, er wüsste besser als alle anderen, was wirklich zählt. Ein vollendeter Weiser wird nicht den Eindruck erwecken, „die Weisheit mit Löffeln gefressen“ zu haben und „letzte Wahrheiten“ verkünden. Der wahrhaft Weise weiß, dass er auch in Bezug auf die Weisheit nichts weiß. Er wird stattdessen, wie Sokrates, sich selbst und die anderen befragen und zum ständigen Nachdenken und Abwägen der verschiedenen Güter, mithin zum Philosophieren, anregen.

Der Weise weiß darüber hinaus, dass es nicht nur auf Einsichten und richtige Grundsätze ankommt, sondern, dass diese auch in die Alltagspraxis umgesetzt werden müssen, um wirksam werden zu können.

Der vollendete Weise weiß auch darum, dass selbst eine Einsicht in die wesentlichen Elemente eines guten Lebens und entsprechendes Handeln keineswegs Garantien für ein glückliches Leben sind. Zum einen gilt das Sprichwort, „wer mehr versteht, hat mehr zu leiden“. (Kohelet/Prediger, 1, 18) Zudem kann das Leben durch unbeeinflussbare Umstände und die Macht des Schicksals negativ beeinflusst werden: „Der Weise hat Augen im Kopf, aber der Tor tappt im Dunkeln. Doch erkannte ich (auch), dass ein und dasselbe Geschick beide treffen kann.“ (Kohelet/Prediger, 2, 14)

Bei einem aber bleibt es: Das Nachdenken, das Philosophieren darüber, was ein gutes Leben ausmacht, ist der Anfang, ist die Basis. Ohne dieses ist alles andere Umherirren.