Es gibt für den Menschen nichts Gutes unter der Sonne außer zu essen und zu trinken und sich zu freuen. Das kann ihn begleiten bei seiner Mühe in der Zeit seines Lebens, die der Gott ihm gegeben hat unter der Sonne. 8,15
Kohelet ist ein Weisheitsbuch des Alten Testaments. Sein unbekannter Autor widmet sich der Frage, „was gut ist für die Menschen, was sie tun sollten, unter dem Himmel, so lange sie leben“. (2,3) Sie sollen die kleinen und einfachen Freuden des Lebens genießen, denn alles andere Streben sei angesichts ihrer Vergänglichkeit und der Unsicherheit des Lebens sinn- und wertlos, so seine Antwort. Wie diese herausgearbeitet und hergeleitet wird, das ist lesenswert.
Der Text beginnt mit einem Selbstgespräch des fiktiven Königs Kohelet, der sich als „Sohn Davids in Jerusalem“ bezeichnet. Einige Kommentatoren vermuten, dass es sich dabei um eine Parodie auf den sagenhaften König Salomo handelt. Der Name Kohelet ist hebräisch und beschreibt wahrscheinlich eine Funktion. Er wird überwiegend als „Sammler“ (von Sprüchen) oder „Volksredner“ (Prediger) übersetzt. König Kohelet reflektiert verschiedene „gängige“ weltliche Lebensziele, wie das Streben nach Reichtum, Lust und Erkenntnis. Bei alldem fragt er sich: Welchen Gewinn hat denn der Mensch letztlich von diesem Streben, das ihn viel Mühe kostet? (1,3) Aufgrund seiner Erfahrungen kommt der König immer wiederkehrend zu dem Schluss, der dem Text den Rahmen gibt: „All dies ist nichtig und ein Haschen nach Wind.“ Weisheit und Erkenntnis brächten oft Verdruss mit sich und würden keinesfalls ein glückliches Leben verbürgen. Zeitumstände, Zufall und Schicksal sind von großer Bedeutung. Der im Leben angehäufte Besitz als Lohn der eigenen Tätigkeit („Gewinn“) nutzt im Tode nichts, er wird vererbt an Menschen, die sich dafür, anders als der König selbst, nicht einmal abmühen mussten. Selbst die größten Namen geraten dereinst in Vergessenheit.
Während der König Kohelet hierüber verzweifelt und das Leben zu „hassen“ beginnt, erkennt der „Weise“ Kohelet, was übrig bleibt: Es sind die einfachen Freuden, wie gutes Essen und Trinken, die den Menschen glücklich machen. Auch sie sind vergänglich und nicht garantiert, sondern von Gott gegeben (oder auch nicht), aber mehr sollte der Mensch nicht erwarten, „von seinem Leben unter der Sonne“.
Das Buch Kohelet ist ein Gegenentwurf zur „Glücks-Konzeption“ der griechischen Philosophenschulen, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Man müsse sich nur auf das konzentrieren, was man selbst beeinflussen, worüber man selbst verfügen könne, nämlich auf „innere Güter“ wie Seelenruhe oder eigene Tugenden. Externe Güter seien „nichtig“. Darin stimmt Kohelet mit ihnen überein, doch darüber hinaus betont er die Grenzen des individuellen Strebens nach Glück, die durch Mitmenschen, Zeitumstände und letztlich „göttliche Fügung“ gesetzt werden. Wohl könnten Menschen glücklich sein und sollten auch danach streben. Doch nicht im Menschen selbst gründe das Glück, es werde ihnen nicht als „Ertrag“ der eigenen Anstrengung zuteil, sondern letztlich als Gottes Gabe. „Es kommt nichts Gutes durch den Menschen zustande.“ (2,24) Der „Weise“ Kohelet „predigt“ Demut und Bescheidenheit im Hinblick auf die menschlichen Erwartungen an ein „gutes“, ein glückliches Leben. Die Erwartung, nur das Leben sei erstrebenswert und gut, das im Ergebnis eigener Anstrengung und Weisheit zuverlässig einen „Gewinn“ wie Freude und Besitz garantiert, ist überzogen und letztlich unerfüllbar. Glücks-Erwartungen, die der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Lebens nicht Rechnung tragen, seien unsinnig. Streben und Tätig-Sein werden dadurch gegenüber dem Genuss abgewertet. In dessen Wertschätzung, wie auch in der Würdigung der freundschaftlichen Gemeinschaft mit anderen, stimmt das Buch immerhin mit Epikur überein.
Weitere Themen des Textes sind neben der Reflexion verschiedener Lebensweisheiten die Macht der Herrschenden, überzogene Erwartungen an neue Herrscher und soziale Ungerechtigkeit.
Das Buch Kohelet zeichnet sich durch eine bildhafte Sprache aus und besteht weitgehend aus Sprichwörtern, Maximen und Lehrgedichten. Einige von ihnen haben Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden, zum Beispiel die Formulierung „Nichts Neues unter der Sonne“.
Die Entstehung des Buches wird auf die letzten Jahre des 3. Jahrhunderts vor Christi, also etwas vor 200 datiert. Das Buch ist Teil der salomonischen Schriften und nimmt einen Platz zwischen dem Sprüchebuch und dem Hohelied ein (Proverbs, Ecclesiastes, Canticle). Es kann auch als Fortsetzung des Sprüchebuchs gelesen werden. Daneben ist es von altägptischer Weisheit, wie auch von hellenistischen Einflüssen inspiriert. Über Zweck und Motiv des unbekannten Autors sind sich die Kommentatoren uneins. Wahrscheinlich handelt es sich um die Quintessenz einer langjährigen Auseinandersetzung einer Lehrautorität mit zeitgenössischen Lebens- und Glaubensregeln.
Meine Einschätzung
Was ist Glück? Wonach soll man streben? Die gesunde Portion Skepsis in Bezug auf allzu hohe Glückserwartungen und die Blickfelderweiterung auf die Mitmenschen, die der „Weise“ Kohelet vermittelt, sind wichtige kritische Korrekturen am individualistischen Glücksideal. Andererseits gehen mir die fatalistische Grundaussage, die weitgehende Entwertung menschlichen Strebens und die Schicksalsergebenheit zu weit. Mit Gottesfurcht kann ich nichts anfangen.
Mir gefällt die undogmatische, empirische, lebensnahe Herangehensweise an Grundfragen menschlicher Existenz. Das Buch Kohelet verordnet nichts. Der „Weise“ „hörte und prüfte, berichtigte viele Sprüche“ (12,9b). Erst im Ergebnis dessen kommt er zu seinen Einsichten. Der Text bleibt bewusst widersprüchlich. Widersprüche werden nicht aufgelöst, denn es sind die Dilemmata des Lebens. Die Auseinandersetzung mit den Positionen Kohelets ist anregend und schärft die eigenen Position. Ausgewählte Textstellen laut vor sich hin zu lesen und dem Klang der Worte nachzulauschen und nachzusinnen, entfaltet beruhigende Wirkung.
Ausgaben
Thomas Krüger, Kohelet (Prediger), Biblischer Kommentar Altes Testament Band XIX, Neukirchen-Vluyn 2000.
Online Volltext bei Talmud.de
http://www.talmud.de/tlmd/category/schriften/tanach/kohelet-prediger/
Englisch: The Book of Ecclesiastes
http://www.chabad.org/library/bible_cdo/aid/16462#lt=primary