Gracian: Es gibt Regeln für das Glück

Die Kunst Glück zu haben. Es giebt Regeln für das Glück: denn für den Klugen ist nicht alles Zufall. Die Bemühung kann dem Glücke nachhelfen.
Baltasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit, 21
übersetzt von Artur Schopenhauer

The Art of being Lucky. There are rules of luck: it is not all chance with the wise: it can be assisted by care.
The Art of Worldly Wisdom, by Balthasar Gracian, 21
translated by Joseph Jacobs

Lebenskunst ist zuallererst die Kunst, glücklich zu sein. Ist beides vielleicht gar identisch? Glücklichsein steht zweifellos an der Spitze der Lebensziele, ist für viele der Sinn des Lebens. Wie nur ein sinnvolles Leben ein glückliches Leben sein kann, so kann nur ein glückliches Leben sinnvoll sein.

Doch geht es im Leben nur darum, selbst glücklich zu sein? Und was macht überhaupt ein glückliches Leben aus? Ist das nicht je von Mensch zu Mensch sehr verschieden? Nach Epikur besteht Glück vor allem in Schmerzfreiheit und Lustempfinden. Insofern scheint der Weg zum Glücklichsein recht einfach: Strebe danach, was dich schmerzfrei macht und dir lustvolle Gefühle beschert – meide, was dir Schmerzen und Unlust bereitet. Ganz so einfach ist es dann zwar doch nicht, aber das soll hier nicht weiter erörtert werden.

Gracian meint: Glück ist für den Weisen, für den Einsichtigen nicht purer Zufall. Wenn er sich um die Einhaltung gewisser Regeln umsichtig bemüht, kann er das Glücklichsein befördern. Insofern ist jeder seines eigenen Glückes Schmied.

Gracian: Wissen und Tapferkeit bauen wahre Größe auf

Wissenschaft und Tapferkeit bauen die Größe auf. Sie machen unsterblich; weil sie es sind. Jeder ist so viel, als er weiß, und der Weise vermag Alles. Ein Mensch ohne Kenntnisse; eine Welt im Finstern. Einsicht und Kraft; Augen und Hände. Ohne Muth ist das Wissen unfruchtbar.

Baltasar Gracián, Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit, 4

Nicht Geld, nicht politische Macht, nicht Auflagenzahlen, nicht Heere, nicht die Zahl der Talkshow-Auftritte, nicht Nobelpreise noch andere Titel, verbürgen wahre Größe. Echte Bildung ist, was nachhaltig zählt. Doch nur, wenn sie sich mit Tapferkeit verbindet, kann Einsicht Wirkung entfalten.

Welcher Art Wirkung, hängt von der Verbindung mit weiteren Tugenden ab: Bescheidenheit, Gerechtigkeit, Güte und Selbstbeherrschung. Aber auch von der Verbindung mit Fehlern: Eitelkeit, Selbstüberschätzung, Machtstreben.

Unsterblicher Nachruhm winkt Ersterem, ewige Schmach und Vergessen Letzterem.

Wer kennt für diese Wahrheit historische oder aktuelle Beispiele?

Aurel über Notwendigkeit und Zweck von Selbstreflexion

Nichts ist jämmerlicher als ein Mensch, der alles ergründen will, der die Tiefen der Erde, wie jener Dichter sagt, durchforscht und, was in der Seele seines Nebenmenschen vorgeht, zu erraten sucht, ohne zu bedenken, daß er sich genügen lassen sollte, mit dem Genius, den er in sich hat, zu verkehren und diesem aufrichtig zu dienen. Dieser Dienst aber besteht darin, ihn vor jeder Leidenschaft, Eitelkeit und Unzufriedenheit mit dem Tun der Götter und Menschen zu bewahren.

Selbstbetrachtungen II, 13

Der Dialog mit sich selbst soll von größerer Bedeutung sein als jedes Erkenntnisinteresse? Der Mensch soll sich gar mit Ersterem begnügen, alles andere sei jämmerlich?

Das kann man mit Fug und Recht als eine überzogende Zuspitzung ansehen, denn wir würden wohl noch in Höhlen leben ohne diejenigen, die leidenschaftlicher Entdeckerdrang und Unzufriedenheit mit der Lebenssituation nach draußen trieben. Zudem schließen sich Wissensdurst auf die Welt und Selbstprüfung nicht aus.

Doch was ist der Forscher, der viel über die Welt und über seine Mitmenschen wissen will und weiß, aber sich selbst nicht beherrscht? Dessen Forscherdrang im Dienste seines Lebens nach Ruhm und Anerkennung steht? Die Wissenschaftsgeschichte ist reich an Beispielen unmoralischen Verhaltens großer Forscher und Entdecker.

So wird man festhalten können: Nicht derjenige ist elend, der alles außerhalb seiner Selbst ergründen will, wohl aber derjenige, der darüber die Arbeit am eigenen Charakter vernachlässigt oder vergisst.

Aurel über die Bedeutung des richtigen Lebensziels

Was zerstreuen dich die Außendinge? Nimm dir Zeit, etwas Gutes zu lernen, und laß dich nicht weiter wie ein Wind umhertreiben! Auch vor jener anderen Verwirrung hüte dich: denn es gibt auch Toren, die sich ihr ganzes Leben lang abmühen, aber kein Ziel vor den Augen haben, auf das sie alle ihre Wünsche und Gedanken richten.

Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, II, 7

Beides ist falsch – sich durch das Leben treiben zu lassen, wie auch, sich ruhelos abzumühen. Gegen die Zerstreuung und die Rastlosigkeit setzt Aurel die Fokussierung auf das richtige Lebensziel.  Dieses soll nicht in Dingen außerhalb von uns selbst liegen, wie Macht, Vermögen oder Anerkennung. Sein Glück findet man nicht „in den Seelen anderer“ (II, 6).

Dagegen setzt Aurel, „etwas Gutes zu lernen“, das heißt, sich selbst weiterzuentwickeln. Obgleich dieses Ziel an  vorliegender Stelle nicht näher bestimmt wird, ist klar, dass es Aurel nicht um das Auswendiglernen von Fakten oder dergleichen geht. Lernen soll man vielmehr unter anderem:

  • sich selbst zu beobachten,
  •  naturgemäß zu leben,
  • sein Tagwerk sinnvoll zu ordnen,
  • auf andere Rücksicht zu nehmen,
  • sich selbst zu beherrschen,
  • gelassen zu bleiben,
  • Zeitgenossen und Schicksalsschläge zu ertragen.