Gracian: Wissen und Tapferkeit bauen wahre Größe auf

Wissenschaft und Tapferkeit bauen die Größe auf. Sie machen unsterblich; weil sie es sind. Jeder ist so viel, als er weiß, und der Weise vermag Alles. Ein Mensch ohne Kenntnisse; eine Welt im Finstern. Einsicht und Kraft; Augen und Hände. Ohne Muth ist das Wissen unfruchtbar.

Baltasar Gracián, Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit, 4

Nicht Geld, nicht politische Macht, nicht Auflagenzahlen, nicht Heere, nicht die Zahl der Talkshow-Auftritte, nicht Nobelpreise noch andere Titel, verbürgen wahre Größe. Echte Bildung ist, was nachhaltig zählt. Doch nur, wenn sie sich mit Tapferkeit verbindet, kann Einsicht Wirkung entfalten.

Welcher Art Wirkung, hängt von der Verbindung mit weiteren Tugenden ab: Bescheidenheit, Gerechtigkeit, Güte und Selbstbeherrschung. Aber auch von der Verbindung mit Fehlern: Eitelkeit, Selbstüberschätzung, Machtstreben.

Unsterblicher Nachruhm winkt Ersterem, ewige Schmach und Vergessen Letzterem.

Wer kennt für diese Wahrheit historische oder aktuelle Beispiele?

Aurel über Notwendigkeit und Zweck von Selbstreflexion

Nichts ist jämmerlicher als ein Mensch, der alles ergründen will, der die Tiefen der Erde, wie jener Dichter sagt, durchforscht und, was in der Seele seines Nebenmenschen vorgeht, zu erraten sucht, ohne zu bedenken, daß er sich genügen lassen sollte, mit dem Genius, den er in sich hat, zu verkehren und diesem aufrichtig zu dienen. Dieser Dienst aber besteht darin, ihn vor jeder Leidenschaft, Eitelkeit und Unzufriedenheit mit dem Tun der Götter und Menschen zu bewahren.

Selbstbetrachtungen II, 13

Der Dialog mit sich selbst soll von größerer Bedeutung sein als jedes Erkenntnisinteresse? Der Mensch soll sich gar mit Ersterem begnügen, alles andere sei jämmerlich?

Das kann man mit Fug und Recht als eine überzogende Zuspitzung ansehen, denn wir würden wohl noch in Höhlen leben ohne diejenigen, die leidenschaftlicher Entdeckerdrang und Unzufriedenheit mit der Lebenssituation nach draußen trieben. Zudem schließen sich Wissensdurst auf die Welt und Selbstprüfung nicht aus.

Doch was ist der Forscher, der viel über die Welt und über seine Mitmenschen wissen will und weiß, aber sich selbst nicht beherrscht? Dessen Forscherdrang im Dienste seines Lebens nach Ruhm und Anerkennung steht? Die Wissenschaftsgeschichte ist reich an Beispielen unmoralischen Verhaltens großer Forscher und Entdecker.

So wird man festhalten können: Nicht derjenige ist elend, der alles außerhalb seiner Selbst ergründen will, wohl aber derjenige, der darüber die Arbeit am eigenen Charakter vernachlässigt oder vergisst.