Philosophie bedeutet wörtlich übersetzt: Liebe zur Weisheit.
Doch was ist „Weisheit“? Was zeichnet denjenigen aus, der als Weise gilt?
Derjenige gilt als weise, der weiß, „was gut ist für die Menschen, was sie tun sollten unter dem Himmel, so lange sie leben“. (Kohelet/Prediger 2,3) Weise ist derjenige, der die Antwort auf die Frage kennt: Was ist ein gutes Leben? Wonach sollen die Menschen streben, worauf ihre Mühe verwenden, worauf ihre Anstrengungen richten? Und ebenso: Was sollen sie meiden, wofür ihre begrenzte Lebenszeit nicht verschwenden, weil es schlecht für sie wäre?
Weisheit ist also zunächst eine Einsicht. Sie erwächst aus der genauen Beobachtung und Reflexion der eigenen Lebenserfahrungen, wie auch des Lebens der Mitmenschen. Wann geht es mir und den anderen gut? Was stimmt mich und andere glücklich und zufrieden? Wann geht es mir und anderen schlecht, wann sind wir unglücklich und unzufrieden?
Doch der „Güter“, deren Besitz nach verbreiteter Meinung ein gutes Leben ausmachen, gibt es viele: Erfolg, Gelassenheit, Freiheit, Reichtum, körperliche und geistige Gesundheit, Stärke und Schönheit, Ruhm, Macht und Einfluss, Tugend um nur einige zu nennen. Darüber, was letztlich wirklich zählt, sind Menschen wie Philosophen unterschiedlicher Auffassung. So viele unterschiedliche Güter, Lebenserfahrungen und Lebenssituationen es gibt, so viele verschiedene, sich teils widersprechende Lebensweisheiten und -lehren gibt es auch. Von der Unterschiedlichkeit der Temperamente und geistigen Fähigkeiten der Menschen ganz abgesehen.
Ein Weiser sollte sich davor hüten, zu glauben, er wüsste besser als alle anderen, was wirklich zählt. Ein vollendeter Weiser wird nicht den Eindruck erwecken, „die Weisheit mit Löffeln gefressen“ zu haben und „letzte Wahrheiten“ verkünden. Der wahrhaft Weise weiß, dass er auch in Bezug auf die Weisheit nichts weiß. Er wird stattdessen, wie Sokrates, sich selbst und die anderen befragen und zum ständigen Nachdenken und Abwägen der verschiedenen Güter, mithin zum Philosophieren, anregen.
Der Weise weiß darüber hinaus, dass es nicht nur auf Einsichten und richtige Grundsätze ankommt, sondern, dass diese auch in die Alltagspraxis umgesetzt werden müssen, um wirksam werden zu können.
Der vollendete Weise weiß auch darum, dass selbst eine Einsicht in die wesentlichen Elemente eines guten Lebens und entsprechendes Handeln keineswegs Garantien für ein glückliches Leben sind. Zum einen gilt das Sprichwort, „wer mehr versteht, hat mehr zu leiden“. (Kohelet/Prediger, 1, 18) Zudem kann das Leben durch unbeeinflussbare Umstände und die Macht des Schicksals negativ beeinflusst werden: „Der Weise hat Augen im Kopf, aber der Tor tappt im Dunkeln. Doch erkannte ich (auch), dass ein und dasselbe Geschick beide treffen kann.“ (Kohelet/Prediger, 2, 14)
Bei einem aber bleibt es: Das Nachdenken, das Philosophieren darüber, was ein gutes Leben ausmacht, ist der Anfang, ist die Basis. Ohne dieses ist alles andere Umherirren.